Inobhutnahme auf Wunsch der Eltern: Unterstützung für Familien in schwierigen Zeiten
Die Inobhutnahme auf Wunsch der Eltern ermöglicht es, Kinder vorübergehend in einem sicheren Umfeld unterzubringen, wenn Eltern die Versorgung im häuslichen Rahmen nicht (mehr) gewährleisten können – sei es durch Überforderung, Krisen oder gesundheitliche Probleme.
Besonders für Eltern von Kindern mit Behinderungen kann diese Option eine große Entlastung sein. Wir erklären Euch hier, wie eine freiwillige Inobhutnahme beantragt und durchgeführt wird und welche rechtlichen Aspekte speziell für Kinder mit Behinderungen relevant sind.
Inhaltsverzeichnis
Was ist eine Inobhutnahme?
Unter einer Inobhutnahme versteht man die temporäre Unterbringung eines Kindes durch das Jugendamt, wenn dessen Wohl gefährdet ist oder Eltern temporär überfordert sind.
Diese Maßnahme kann in Fällen von akuter Kindeswohlgefährdung angewendet werden (§ 42 SGB VIII)1, aber auch freiwillig auf Wunsch der Eltern, wenn eine Krise oder Überforderungssituation besteht. Hierbei bleibt das Sorgerecht bei den Eltern.
Beantragung der Inobhutnahme auf Wunsch der Eltern
Eltern, die sich aus gesundheitlichen oder emotionalen Gründen überfordert fühlen und eine vorübergehende Betreuung für ihr Kind benötigen, können sich an das zuständige Jugendamt wenden.
Die Antragstellung erfolgt in einem persönlichen Gespräch, bei dem die Eltern die Gründe für die Inobhutnahme darlegen. Vor einer Inobhutnahme wird das Jugendamt prüfen, ob alternative Maßnahmen greifen, wie sie in § 20 SGB VIII zur Betreuung und Versorgung des Kindes in Notsituationen2 beschrieben sind. Dies ermöglicht eine kurzfristige Betreuung des Kindes, um akute Krisen abzufedern und das Kindeswohl zu sichern, ohne dass eine dauerhafte Unterbringung notwendig wird.
Zusätzlich besteht für Familien mit spezifischen gesundheitlichen Belastungen die Möglichkeit, eine vorübergehende Betreuung gemäß § 38 SGB V3 über die Krankenkasse zu organisieren. In diesen Fällen können Kinder in einer „geeigneten Einrichtung“ untergebracht werden, wenn dies medizinisch indiziert ist – beispielsweise bei einer Überforderungssituation der Eltern aufgrund körperlicher oder psychischer Belastungen. Hierfür ist eine ärztliche Verordnung notwendig, die in Zusammenarbeit mit Haus- oder Fachärzten ausgestellt wird.
Alternativ kann das Jugendamt andere Maßnahmen empfehlen, wie z. B. Familienhilfe4 , einen ambulanten Kinderpflegedienst oder zusätzliche Assistenzen. Durch diese Optionen können alle weiteren Hilfen ausgeschöpft werden, bevor eine Inobhutnahme erfolgt.
Gründe für eine Inobhutnahme durch das Jugendamt:
- Überforderungssituationen: In akuten Krisen, wie Krankheit oder familiären Konflikten, kann die vorübergehende Fremdunterbringung sinnvoll sein.
- Chronische Erkrankungen und Behinderungen: Für Eltern von Kindern mit Behinderungen stellt der Pflegealltag besondere Herausforderungen. Eine vorübergehende Inobhutnahme kann hier eine Entlastung bieten.
- Mangel an unterstützenden Ressourcen: Fehlen Unterstützungsangebote, kann die Inobhutnahme auf Wunsch der Eltern eine vernünftige Lösung sein.
Ablauf der Inobhutnahme auf Wunsch der Eltern
1. Erstgespräch und Antragstellung
Das Jugendamt prüft in einem ersten Gespräch, ob eine Inobhutnahme nötig und sinnvoll ist. Dabei können auch andere unterstützende Maßnahmen besprochen werden.
2. Unterbringungsplan
Wenn das Jugendamt der Inobhutnahme zustimmt, wird ein detaillierter Plan zur Betreuung des Kindes erstellt, der etwa die Auswahl einer geeigneten Einrichtung oder Pflegefamilie umfasst. Ziel ist es, eine Umgebung zu finden, die den Bedürfnissen des Kindes entspricht.
3. Betreuung und regelmäßige Gespräche
Die Unterbringung erfolgt in einer zugelassenen Einrichtung oder Pflegefamilie. Die Betreuung wird regelmäßig überprüft, um sicherzustellen, dass das Wohl des Kindes gewahrt bleibt und eine Rückkehr zur Familie angestrebt werden kann.
4. Regelmäßige Kommunikation mit den Eltern
Eltern bleiben im gesamten Prozess eingebunden, haben Zugang zu allen relevanten Informationen und werden über den Fortschritt und die Betreuung ihres Kindes auf dem Laufenden gehalten.
Rechtliche Situation für Kinder mit Behinderungen: § 42 SGB VIII und geplante Reformen
Aktuell gibt es für die Inobhutnahme von Kindern mit Behinderungen keine gesonderte gesetzliche Grundlage. Diese Kinder werden daher gemäß § 42 SGB VIII5 in regulären Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe untergebracht.
Einrichtungen, die gezielt auf die Inobhutnahme von schwerbehinderten Kindern spezialisiert sind, fehlen bisher. Daher sind Eltern von Kindern mit Behinderungen oft gezwungen, diese in Einrichtungen unterzubringen, die nicht optimal für ihre Betreuung ausgestattet sind.
Diese Situation stellt Familien mit behinderten Kindern vor besondere Herausforderungen, da die vorhandenen Einrichtungen oft nicht über das notwendige Fachwissen oder die Ausstattung für eine angemessene Betreuung verfügen.
Hier unterstützen wir von Querleben betroffene Familien mit Beratung und Vermittlung von Assistenzen und weiteren Hilfsangeboten – sowohl in Mecklenburg-Vorpommern als auch bundesweit.
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Zukünftige Entwicklungen: Das inklusive Kinder- und Jugendhilferecht (§ SGB IX)
Um die Situation zu verbessern, sieht das geplante inklusive Kinder- und Jugendhilferecht6 eine Reform vor, die speziell auf die Bedürfnisse von Kindern mit Behinderungen eingeht.
Das neue Recht soll langfristig sicherstellen, dass auch schwerbehinderte Kinder Zugang zu speziellen Einrichtungen der Inobhutnahme nach dem Sozialgesetzbuch IX (SGB IX)7 haben, die besser auf ihre Bedürfnisse abgestimmt sind. Diese Reform verfolgt das Ziel, Inklusion und Gleichberechtigung im Rahmen der Jugendhilfe zu fördern und die Betreuung und den Schutz dieser Kinder in geeigneten Einrichtungen sicherzustellen.
Erst mit der Implementierung des inklusiven Kinder- und Jugendhilferechts wird es verbindliche gesetzliche Grundlagen und speziell konzipierte Einrichtungen geben, die auf die Anforderungen von Kindern mit Behinderungen zugeschnitten sind.
Bis dahin bleibt die freiwillige Inobhutnahme gemäß SGB VIII eine Option, auch wenn die Betreuungssituation häufig nicht ideal ist.
Häufig gestellte Fragen zur Inobhutnahme
Kann ich mein Kind in Obhut geben?
Ja, Eltern können eine freiwillige Inobhutnahme ihres Kindes beantragen, wenn sie die Betreuung und das Wohl des Kindes aus persönlichen oder gesundheitlichen Gründen nicht mehr selbst sicherstellen können. Diese Entscheidung ist in der Regel temporär und hilft, die Familie zu entlasten, während das Wohl des Kindes im Fokus steht.
Kann das Jugendamt die Inobhutnahme verweigern?
Das Jugendamt kann eine freiwillige Inobhutnahme ablehnen, wenn keine dringende Kindeswohlgefährdung vorliegt und das Kind als behindert oder von Behinderung bedroht gilt. In diesen Fällen verweist das Jugendamt die Familien meist an die Eingliederungshilfe nach SGB IX8 , da sie für spezifische Unterstützungsbedarfe bei Kindern mit Behinderungen zuständig ist.
Seit Januar 2024 sind gemäß § 10b SGB VIII9 in allen Landkreisen Verfahrenslotsen10 vorgesehen, die Familien mit behinderten Kindern durch das oft komplexe Antragsverfahren begleiten und die passenden Hilfen koordinieren sollen.
Ziel ist, die individuellen Bedarfe der Kinder zu berücksichtigen und eine stabilisierende Unterstützung zu schaffen, die eine Inobhutnahme – wenn möglich – vermeidet.
Allerdings zeigt sich in der Praxis, dass die Umsetzung vielerorts noch mehr als desolat ist, was Eltern zusätzlich belasten kann.
Welche Rechte haben Eltern während einer Inobhutnahme?
Während der freiwilligen Inobhutnahme bleibt das Sorgerecht grundsätzlich bei den Eltern, und sie werden aktiv in alle Entscheidungen zur Betreuung und Unterbringung eingebunden. Sie haben das Recht, regelmäßig über die Entwicklung des Kindes informiert zu werden und an Besprechungen zur zukünftigen Planung teilzunehmen.
Welche Gründe gibt es für eine Inobhutnahme?
Eine Inobhutnahme kann aus verschiedenen Gründen erforderlich sein, etwa bei akuten familiären Krisen, gesundheitlichen Problemen der Eltern oder der Notwendigkeit besonderer Unterstützung für Kinder mit Behinderungen.
Die Entscheidung richtet sich stets danach, wie das Wohl des Kindes gesichert und die Familie entlastet werden kann.
Fazit: Inobhutnahme als Option zur Entlastung in schwierigen Zeiten
Die Inobhutnahme auf Wunsch der Eltern kann eine wertvolle Unterstützung sein, wenn familiäre oder gesundheitliche Probleme die Betreuung eines Kindes temporär unmöglich machen. Sie wird jedoch als letzte Option betrachtet, um sicherzustellen, dass das Kind in einem stabilen und sicheren Umfeld versorgt ist, während die Eltern die notwendige Unterstützung erhalten.
Insbesondere für Eltern von Kindern mit Behinderungen kann dieser Schritt eine Entlastung darstellen, da der Pflegealltag hohe Anforderungen mit sich bringt und alternative Hilfen manchmal nicht ausreichen.
Mit der geplanten Reform des inklusiven Kinder- und Jugendhilferechts soll in Zukunft eine verbesserte rechtliche und strukturelle Grundlage für die Inobhutnahme geschaffen werden, die speziell auf Kinder mit Behinderungen zugeschnitten ist.
Querleben steht Familien in solchen Situationen zur Seite, indem wir Assistenzen vermitteln und bei der Antragstellung für Leistungen unterstützen. Unser Angebot ist speziell darauf ausgerichtet, die Lebensqualität von Familien mit Angehörigen, die besondere Betreuung oder Pflege benötigen, spürbar zu verbessern.
Falls du weitere Informationen zur Inobhutnahme oder zu unseren Assistenzleistungen benötigst, schau in unseren Ratgeber für Menschen mit Behinderung.
Oder kontaktiere uns gerne für ein persönliches Beratungsgespräch zu ausführlichen Informationen über unsere Leistungen.
1)Bundesamt für Justiz – Sozialgesetzbuch (SGB) – Achtes Buch (VIII) – Kinder- und Jugendhilfe – (Artikel 1 des Gesetzes v. 26. Juni 1990, BGBl. I S. 1163) § 42 Inobhutnahme von Kindern und Jugendlichen, https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_8/__42.html
2)Sozialgesetzbuch (SGB VIII) Achtes Buch Kinder- und Jugendhilfe – § 20 SGB VIII Betreuung und Versorgung des Kindes in Notsituationen, https://www.sozialgesetzbuch-sgb.de/sgbviii/20.html
3)Bundesministerium der Justiz – Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) – Gesetzliche Krankenversicherung – (Artikel 1 des Gesetzes v. 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477) 38 Haushaltshilfe, https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_5/__38.html
4)Caritas Deutschland – Sozialpädagogische Familienhilfe, https://www.caritas.de/glossare/sozialpaedagogische-familienhilfe
5)Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – Kinder- und Jugendhilfe, https://www.bmfsfj.de/resource/blob/94106/40b8c4734ba05dad4639ca34908ca367/kinder-und-jugendhilfegesetz-sgb-viii-data.pdf
6)Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – Gesetz zur Ausgestaltung der Inklusiven Kinder- und Jugendhilfe (Kinder- und Jugendhilfeinklusionsgesetz – IKJHG), https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/service/gesetze/gesetz-zur-ausgestaltung-der-inklusiven-kinder-und-jugendhilfe-kinder-und-jugendhilfeinklusionsgesetz-ikjhg–245652
7)Bundesamt für Justiz – Sozialgesetzbuch Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen – (Artikel 1 des Gesetzes v. 23. Dezember 2016, BGBl. I S. 3234), https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_9_2018/
8)Sozialgesetzbuch (SGB IX) Neuntes Buch: Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen – § 90 SGB IX Aufgabe der Eingliederungshilfe, https://www.sozialgesetzbuch-sgb.de/sgbix/90.html
9)nwb DATENBANK – Erstes Kapitel: Allgemeine Vorschriften § 10b Verfahrenslotse, https://datenbank.nwb.de/Dokument/534036_10b/
10)Verfahrenslotse digital – Aufgaben der Verfahrenslotsinnen und -lotsen, https://wissen.verfahrenslotse.org/docs/aufgaben-der-verfahrenslotsinnen-und-lotsen/